Bericht aus der Diepholzer Kreiszeitung vom 11.06.2015
Varlheide - Von Katharina Schmidt. Auf zierlichen Beinen tapst das Rehkitz „Manni“ durchs Gras, beschnüffelt neugierig seine Umgebung und knabbert an Blättern und Blüten. Dann geht es zum Essen zu Mama – allerdings nicht an die Zitzen, sondern an die Nuckelflasche. Denn der zwei Wochen junge Bock wird von Marion Wilmsmann von der Nutztier-Arche „Tierparadies Rahden“ großgezogen.
„Manni“ wurde in Vlotho mitten auf der Straße gefunden. „Ich schätze, dass seine richtige Mutter irgendwie ins Mähwerk gekommen ist“, erzählt Wilmsmann, während sie „Manni“ die Flasche gibt. Vertraut nuckelt das etwa 2200 Gramm schwere Kitz an der auf 39 Grad aufgewärmten Mischung aus Fencheltee und Lämmer-Aufzuchtmilch. Der Tee wirke Bauchschmerzen entgegen, erklärt die Tierliebhaberin. Außerdem müsse sie dem Kitz beim Füttern das Hinterteil massieren, damit es sich lösen könne.
Alle vier Stunden füttert sie den kleinen Rehbock – auch nachts. „Genau wie ein Baby“, sagt Wilmsmann schmunzelnd. Neben seiner Milch und dem Grünzeug, das er im Garten aufspürt, bekommt „Manni“ Eigelb und Maulwurfserde. „Die Erde brauchen Rehe für ihre Verdauung“, betont die Ersatz-Mama. „Andere Leute bekämpfen ihre Maulwürfe, ich wäre froh, wenn hier einer wäre“, ergänzt sie. Auf einen Ziergarten könne sie bei ihrem Schützling, dem auch Rosenblätter gut zu schmecken scheinen, eh nicht mehr hoffen, erzählt Marion Wilmsmann und lacht. Tollt „Manni“ nicht im Garten herum, darf er sich auch im Haus aufhalten.
Während das Kitz fremde Menschen scheu beäugt, kommt es zu der Varlheiderin auf Zuruf und stupst sie mit seiner Nase an, fast wie bei einem Küsschen. Wenn es seine „Mama“ aus den Augen verliert, fängt es sogar manchmal an zu fiepen. „Die sind sehr anhänglich, wenn sie klein sind“, schildert Wilmsmann ihre Erfahrung. „Aber wenn die in die Pubertät kommen, hauen die alle um“, fügt sie mit Blick auf das Geschlecht ihres „Babys“ hinzu. Daher müssten Böcke, die nicht in der Natur aufwachsen, bis zur siebten Woche kastriert werden. Erfolge das später, könne das eine gefährliche Fehlentwicklung des Geweihes zur Folge haben, weiß Wilmsmann.
„Manni“ ist nicht das erste Kitz, das die „Reh-Mama“ großzieht. Vor etwa drei Jahren hatte ihr ein Jäger „Maili“ zur Aufzucht anvertraut. Sie durchzubringen, sei schwer gewesen, erinnert sich die 50-Jährige. „Maili“ habe erst nur 1200 Gramm gewogen. Mittlerweile lebt das Reh in einem Gehege auf dem Anwesen der Wilmsmanns. Dort kann es sich laut der Varlheiderin im Wald verkriechen, Kräuter suchen oder umherspringen. „Was halt dazugehört, wenn man Reh ist“, fasst sie zusammen.
Sie will „Maili“ und „Manni“ so „artgerecht wie möglich“ halten. Denn davon, sie wieder in die freie Natur auszuwildern, würden Jäger abgeraten. Die Rehe hätten nicht genügend Scheu vor Menschen oder Hunden. Auch bevor sie „Manni“ und „Maili“ zu sich nahm, habe sie sich mit den Waidmännern abgestimmt. Berühre man ein Kitz vorschnell, werde es womöglich von seiner Mutter verstoßen, erklärt Wilmsmann.
Sie und ihr Mann Michael leben im Moment mit knapp 200 Tieren in Varlheide – darunter Hühner, Gänse, Enten, Ponys, ein Wellensittich, Hunde, Schafe, Meerschweinchen und Kaninchen seltener Rassen. Manche von ihnen rettete das Ehepaar vor dem Schlachter, andere nahm es als „Waisen“ auf.
Marion Wilmsmann betont jedoch, dass die Nutztier-Arche kein Tierheim sei. Manche Tiere würden später geschlachtet. Bis zu ihrem Tod wolle man ihnen jedoch ein schönes Leben bieten. „Wir wollen nicht das Hühnerfleisch aus der Massentierhaltung“, betont sie, dass ihr artgerechte Haltung am Herzen liegt.
Von Michael Nichau
Rahden-Varlheide (WB). Wenn eine Gans ein Pferd ausführt, ist das schon eine besondere Sache. Ganter »Günter« vom der Nutztier-Arche »Tierparadies Rahden« hatte eine ganz besondere Freundin: das Pony »Lotte«. Seit dem Sommer ist das Gespann unzertrennlich gewesen.
»Die Liebe entflammte, nachdem der Fuchs die Partnerin von ›Günter‹ geholt hat«, erzählt Marion Wilmsmann, die gemeinsam mit ihrem Mann Michael in Varlheide nebenberuflich die Nutztier-Arche und einen Pony-Club betreibt. »Wir haben ›Günter‹ wieder zu den Artgenossinnen gesetzt, doch dort war er gar nicht glücklich. Immer wieder flatterte er über den Zaun des Geheges und erkundete den Hof«, schildert sie.
»Günter« blieb ein Einzelgänger – durchaus nicht unüblich bei Gänsen – wie Marion Wilmsmann sagt. Dann allerdings traf Amors Pfeil den Ganter, als er Pony »Lotte« sah. Dabei störte den Gänserich auch nicht der Altersunterschied, Schließlich ist »Lotte« das älteste Pony auf dem Hof. »Fortan wich der Ganter nicht mehr von ›Lottes‹ Seite«, schildert Marion Wilmsmann. Zuerst habe der Vierbeiner die Annäherungen und auch leichten Attacken gar nicht gut gefunden. Dann aber schien die 25 Jahre alte »Lotte« den neuen »Freund« zu akzeptieren.
»›Günter‹ ging auch nicht zu anderen Ponys – wir haben ja fünf. Er blieb treu an ›Lottes‹ Seite.« Und entwickelte langsam starke Gefühle, zu starke. »Er hat praktisch das Pony verteidigt und auch die Kinder kaum herangelassen, um die Pflege vorzunehmen. Und ›Günter‹ kann ganz schön giftig werden«, berichtet Marion Wilmsmann. Gerade das gutmütige Pony brauche sie für die Reitstunden mit den Kindern. Das klappte auch, allerdings hatte »Günter« ein Wörtchen mitzureden. Denn allein lassen, seine Lotte? – Das kam nicht in Frage und so führte der Ganter die Pferde-Karawane durch das Dorf zur Belustigung der Bürger an.
Doch langsam entwickelte sich der weiße »Vogel« zum kleinen Stalker. »Das ging einfach nicht mehr so weiter«, sagt die Reitlehrerin. Zwar bereitete das Verhalten der Diepholzer Gans (sie steht auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten) auch jede Menge Spaß. Aber: »Jetzt haben wir ›Günter‹ mit den Enten zusammen eingesperrt. »Lotte« brauchte einfach mal Ruhe. Und der arme »Günter« der startete einen weiteren Annäherungsversuch beim anderen Tiergeschlecht und zwar im Schaftstall. Doch dort erlitt er ebenfalls Schiffbruch. Der Schafbock war »not amused« und vertrieb ihn aus seinem Reich. »Jetzt hat ›Günter‹ die Lust an den größeren Vierbeinern verloren und bleibt bei den Enten«, erzählt Marion Wilmsmann schmunzelnd.
Auch »Lotte« scheint über »Günters« Verbannung glücklich zu sein. »Das Pferd bekam ja keine Ruhe mehr und wir konnten es kaum noch versorgen«, begründet sie den Arrest für den Ganter.
Varl - Von Katharina Schmidt. Die Liebesgeschichte von Günter und Lotte ist ungewöhnlich. Er ist ein Ganter, sie ein Pony. Doch entgegen aller Konventionen wich Günter seiner Angebeteten mehrere Wochen lang nicht von der Seite. Gemeinsam lebte das ungleiche Paar auf der Nutztier-Arche „Tierparadies Rahden“ in Varlheide. Mittlerweile gehen Ganter Günter und Pony Lotte getrennte Wege. Ein Happy End ist trotzdem in Sicht.
Es begann mit einer Tragödie. Günter verlor seine Lebensgefährtin. Gänse bleiben oft ein Leben lang mit ihrem Partner zusammen – der Fuchs machte Günter und „seiner“ Gans allerdings einen Strich durch die Rechnung.
Erst lenkte sich Günter mit der Erziehung seiner Küken ab. „Was ihn dann so richtig aus der Bahn geschmissen hat, war der Umzug in ein neues Gehege“, erinnert sich Marion Wilmsmann. Zusammen mit ihrem Mann Michael hat sie die Nutztier-Arche aufgebaut. Eigentlich hatten sie es gut gemeint: Das neue Gehege war größer und schöner. Doch Günter büxte sofort aus. Und dann kam Lotte.
Das Pony Lotte lebt seit etwa einem Jahr im „Tierparadies“. Wilmsmann hatte es vor dem Schlachter gerettet und aufgepäppelt. Nun gibt sie mit dem Tier Reitstunden. Mit Kindern sei Lotte sensationell, schwärmt die Varlerin.
Das Pony hat viele Verehrer. Alle Pferde suchen laut Wilmsmann seine Nähe. Obwohl Lotte nicht mal die Schönste sei. „Eigentlich ist sie schon eine Oma“, so die Reitlehrerin. Trotzdem: „Jeder will nur Lotte.“
So verfiel auch Günter Lottes Charme. Bei seinem Ausbruch aus dem neuen Gehege traf er die Ponydame. Von Anfang an hatte er nur Augen für sie, die anderen Pferde interessierten ihn nicht. „Das ist eine Fehlprägung“, vermutet Wilmsmann.
Güter blieb fortan an Lottes Seite: beim Putzen, bei Ausritten oder auf der Weide. Nachts schlief er vor ihrer Box. Wann immer er konnte, watschelte er mit stolzer Brust vor Lotte vorweg.
Dabei ist es gar nicht so leicht, als Gans mit einem Pony Schritt zu halten. „Da taten ihm manchmal schon die Füße weh“, vermutet Marion Wilmsmann.
Wenn es zu schnell wurde, habe er auch mal mit Lotte geschimpft und sie ausgebremst, indem er sich vor sie gestellt und seine Flügel ausgebreitet hat.
Und Lotte? Die ertrug Günter geduldig. Für sie war ihr Verehrer eher ein nerviger Stalker als die große Liebe.
Die Initiative ging von Anfang an von Günter aus. Mit der Zeit zeigte der Ganter mehr und mehr seine dominante Seite. Die Kinder der Reitgruppe lies er kaum an seine Herzensdame heran. Selbst Wilmsmann hatte Schwierigkeiten, sich dem Pony zu nähern. Der Ganter richtete seine Flügel auf und fauchte. Er wollte Lotte ganz für sich alleine.
Die Eifersucht zerfraß die Beziehung. So sehr, dass sich Marion und Michael Wilmsmann entschlossen zu handeln. „Lotte hatte auf der Wiese keine ruhige Minute“, verdeutlicht die Varlerin.
Als Weihnachtsbraten endet Günter trotz seines ausgeprägten Beschützer-Instinkts nicht. Denn er lebt bereits seit fünf Jahren im Tierparadies und ist eines von vielen Tieren, die den Wilmsmanns so sehr ans Herz gewachsen sind, dass sie sie nicht schlachten. Außerdem steht die Diepholzer Gans auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten. Nein, Günter wurde in das Entengehege verbannt.
Er versuchte sein Glück danach noch kurz bei einem anderen Pferd, Ratina. Sie signalisierte gleich, dass sie kein Interesse hat. Dann verirrte sich Günter – womöglich auf dem Weg zu Lotte – in den Schafsstall. Der Bock hatte wortwörtlich keinen Bock auf den Ganter. Er verscheuchte ihn äußerst unsanft aus seinem Revier. „Seitdem bleibt er bei den Enten“, sagt Wilmsmann.
Dort lebt er als Außenseiter, denn bei dem anderen Federvieh fand er keinen Anschluss. Doch ein Happy End ist in Sicht: Marion Wilmsmann sucht eine neue Partnerin für Günter. Diese soll, ganz traditionell, auch eine Gans sein.